A. Zur Entmythologisierung neutestamentlicher Texte und kirchlicher Traditionen
Die Darstellung wesentlicher Inhalte einiger Mysterienreligionen, die bereits vor der christlichen Kirchenbildung existiert haben, wird deutlich machen, daß das, was in den erhaltenen Texten womöglich als Äußerungen, Reden und Handlungen auf Jesus selbst zurückgeht, tatsächlich (wie der berühmte Neutestamentler Rudolf Bultmann gesagt haben soll) auf eine Postkarte passen könnte.
Die Anfänge konkreter kritischer Arbeit an den kirchlichen Überlieferungen (einschließlich des Neuen Testamentes) sind mit dem Namen Ferdinand Christian Baur (Anfang des 19.Jh.) eng verknüpft. In unserem Jahrhundert war es der schon erwähnte Rudolf Bultmann, der ein Entmythologisierungsprogramm entworfen hat, das jedoch durch viele seiner Schüler wieder in kirchlich opportune Bahnen gelenkt worden ist, so daß im Studium zwar gelehrig und wissenschaftlich sauber gearbeitet werden darf, doch die Ergebnisse bleiben in aller Regel der Öffentlichkeit verborgen.
So mag es Laien erstaunen, daß ein Professor für neutestamentliche Theologie ein Buch schreibt, in dem er alles Reden über das Grab Jesu als Spekulation darstellt (Gerd Lüdemann in “Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie”, 1994). Niemand weiß wirklich etwas davon, auch nicht, ob es dies Grab überhaupt gegeben hat, geschweige denn ob es leer gewesen ist. Doch den Lehrenden und Verkündigenden ist diese Tatsache längst bekannt. Nicht die geschichtliche Wahrheit garantiert die Existenz einer religiösen Institution, sondern die (Gut-)Gläubigkeit ihrer Mitglieder und Nichtmitglieder.
Im folgenden möchten wir einen Überblick geben über die markantesten Beispiele für die kirchliche Übernahme von Vorstellungen aus anderen Kulten, auf die dann im Text zu den kirchlichen Festen nicht mehr gesondert eingegangen wird.